Aus der Sicht von Hund und Herrchen

“Paul kann einfach gar nichts”
Heute waren wir wieder unterwegs – ich und mein Paul. Paul heisst der Mann, bei dem ich lebe. Wir gehen jeden Tag zusammen auf die Jagd. Es beginnt damit, dass er aufsteht und sich die Gummistiefel anzieht. Dann spüre ich, wie sich die Vorfreude in meinem Körper ausbreitet – das Adrenalin schiesst in meinen Kopf und ich kann gar nicht anders als wild umherzuspringen. Jagen ist doch so schön! Für mich jedenfalls – aber anscheinend nicht für Paul. Paul ist schon ein ganz komischer Kerl. Aber ich kriege ihn schon motiviert. Und es ist tatsächlich so, allmählich spüre ich, wie sich auch in Paul Unruhe breitmacht. Seine Schultern ziehen sich dann nach oben, er duckt sich ein wenig und sein Atem geht schneller. Na also, dann können wir ja jetzt los! Auf dem Weg zum Feld muss ich an der Leine gehen. Es ist lästig, aber er besteht drauf. Das liegt wahrscheinlich daran, dass er nicht so schnell rennen kann, wie ich und Angst hat, er könne mich verlieren. Ich glaube, ohne mich wäre er völlig verloren. Das nervt natürlich und ich lasse es ihn auch deutlich spüren. Soll er doch endlich mal ein wenig trainieren! Also ziehe ich ihn mit – ich bin ja so aufgeregt. Paul auch, sein Atem geht nämlich ganz ganz flach. Wie bei mir wenn ich aufgeregt bin. Und er geht ganz gebückt – das ist ein Signal, mit dem mir schon meine Mutter als Welpe gezeigt hat, dass ich noch schneller rennen soll. Wenn ich auf dem Feld das Klicken des Karabinerhakens höre, gebe ich richtig Gas. Es ist herrlich, den Wind im Fell zu spüren, eine Spur aufzunehmen und zu hetzen. Paul ist beim Jagen ein Trottel – er schafft rein gar nichts. Die Arbeit habe nur ich – also kümmere ich mich auch nicht gross um ihn. Wenn ich es mir recht überlege, kann er froh sein, dass er mich hat. Er ruft ab und zu – sicherlich will er mich anfeuern, der Kleine. So richtig ernst nehmen kann ich ihn nicht. Wenn ich fertig bin, hole ich ihn ab. Dann geht es ab nach Hause. Paul wirkt unzufrieden – das ist ja auch kein Wunder. Er steht einfach nur so rum und tut mir ein wenig Leid. Das nächste Mal motiviere ich ihn vor dem Spazieren gehen noch stärker, so, wie ich es mit einem Welpen machen würde. Dann schafft er bestimmt, und jagt mit mir. Das klappt schon, Paul.

“Heaven ist eine Katastrophe”
Heute waren wir Spazieren – wieder einmal ein völliger Albtraum! Es beginnt, sobald ich mir die Gummistiefel anziehe. Heaven wird dann bereits so nervös, dass ich genau weiss, was dann passiert. Je mehr ich versuche, ihn zu beruhigen – umso aufgedrehter wird er! Ich leine ihn an und wir bieten unser übliches Schauspiel. Er schießt einfach los. Ohne Rücksicht auf Verluste. Ich ziehe ebenfalls an der Leine und kann ihn nur mit Mühe halten. Ungewollt werde ich immer schneller und schneller. Ich hasse das und gerate ausser Atem. Aber wahrscheinlich muss er sich mal austoben, er ist halt ein lebhafter Kerl. Auf dem Feld angekommen, mache ich ihn los und rauche erst einmal in Ruhe eine Zigarette. Er tobt wie eine Wildsau über die Fläche. Ich muss ihn mehrmals rufen, bis er zu mir zurückkommt. Auf dem Rückweg zieht er immer noch an der Leine, aber nicht mehr so schlimm wie auf dem Hinweg. So geht es einfach nicht weiter. Ich weiss mir aber auch keinen Rat. Wie kann Heaven lernen, ganz entspannt an der Leine zu gehen?

Die Lösung: LEINENFÜHRIGKEIT
Es liegt auf der Hand, dass Paul und Heaven auf völlig unterschiedlichen Ebenen kommunizieren. Heaven ist als Hund trieb- und instinktgesteuert. Wie alle Hunde kommuniziert er über die Körpersprache und bemerkt den Spannungszustand seines Menschen z.B. anhand der Atemfrequenz. Heaven ist ein selbstbewusster Hund, allerdings ohne jegliche Disziplin. Er muss lernen, sich auf seinen Menschen zu konzentrieren und Respekt vor ihm zu entwickeln. Das funktioniert nur, wenn Paul souverän und locker reagiert. In diesem Satz stecken drei Schlüsselwörter: nämlich souverän (also nicht nervös), locker (also nicht verkrampft) und agiert (nicht reagiert). Der erste Lösungsschritt bestünde darin, dass Paul eine Entspannungstechnik lernt, um wirklich locker und entspannt zu werden. Ein nervöser, zaghafter Mensch wird nur schlecht als Rudelführer akzeptiert. Paul sollte aufrecht gehen, eine nach vorne gebeugte Körperhaltung spornt den Hund dazu an, schneller zu laufen. Heaven sollte ein Erziehungsgeschirr erhalten – das erleichtert Paul, ihn zu halten und wird die Situation merklich entspannen. Ausserdem führt es zu schnellen Erfolgen. Für die nächsten Wochen ist Freilauf für Heaven tabu. Auslauf gibt es nur noch mit Paul – und zwar nur mit durchhängender Leine. Dies erreicht man folgendermassen: Heaven erhält kein Futter mehr aus dem Napf. Das Futter verfüttert Paul ausschliesslich mit der Hand auf Kniehöhe, wenn Heaven “bei Fuss” geht. Zieht Heaven an der Leine, wechselt Paul die Richtung. Er gibt sowohl das Tempo, als auch die Richtung vor – er agiert, Heaven reagiert. Dies übt man zunächst in der Wohnung, dann draussen und in wechselnder Umgebung. Heaven lernt auf diese Weise, dass der “kleine Paul” derjenig ist, der das Futter zuteilt. Und er gibt es nicht einfach so, sondern nur dann, wenn Heaven das macht, was Paul möchte. Also lässt Heaven Paul nicht mehr aus den Augen – vielleicht ergibt sich ja wieder die Gelegenheit einen Brocken zu verdienen…. Der ganze Prozess wird natürlich eine Zeit dauern – aber es lohnt sich.

Nach 8 Wochen:

“Wir sind auf dem richtigen Weg…”
Heaven hat ein Erziehungsgeschirr bekommen – das hat ihn sofort deutlich verunsichert. Er zog überhaupt nicht mehr und ging prima bei Fuss. Über diesen Erfolg war ich restlos begeistert. Mir war vorher nicht klar, welche Rolle die Körpersprache und mein Atem spielt. Ich gehe jetzt bewusst aufrecht, obwohl ich manchmal schon lächerlich dabei vorkomme, wenn ich wie John Wayne durch die Stadt spaziere. Aber es bringt tatsächlich was. Ich achte darauf, ruhig zu atmen – und das beruhigt endlich auch den Hund. Heaven bekommt das Futter nur auf Spaziergängen von mir. Am ersten Tag hat er nichts genommen. Als er aber abends zur gewohnten Zeit nichts erhielt, und hungern musste, sah die Sache schon ganz anders aus. Ich war überrascht, wie schnell er lernte, sich auf meine Hand zu konzentrieren, in der das Futter war. Letzte Woche habe ich ihn das erste Mal wieder frei laufen lassen. Er wirkte anders als vorher und schaute sich öfters nach mir um. Irgendwann habe ich mich umgedreht und bin langsam gegangen. Ich musste mich beherrschen, gerade zu gehen und nicht nervös zu atmen. Keine 10 Sekunden später stand Heaven neben mir und erhielt eine ganze Handvoll Futter. Heaven ist viel ruhiger geworden – ein ganz anderer Hund, endlich!

“Paul ist gross geworden!”
Mein Paul ist erwachsen geworden und ich kann mich auf ihn verlassen. Er hat eine neue Form der Jagd gefunden – ich weiss auch nicht, wie er das macht. Wir gehen einfach so herum, und plötzlich hat er Futter in der Hand. Ich passe unheimlich auf, um zu sehen, wie er das nur macht – aber ich habe es nicht herausgefunden. Egal – solange ich bei ihm bleibe, bekomme ich Futter. Das ist schön. So lange ich bei Paul bin, muss ich mir um nichts mehr Sorgen machen – er regelt schon alles. Jetzt passe ich unheimlich auf, dass er mir nicht verloren geht. Letztens hat er sich irgendwann wieder auf den Weg gemacht – und ich habe es nur zufällig bemerkt! Jetzt beobachte ich ihn die ganze Zeit. Sicher ist sicher!